GERDA TOBLER               KUNST            YOGA           
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Diesseits von Gut und Böse
 
 
Entstehungsjahr 2004
Technik und Masse Diesseits von Gut und Böse – Bildergeschichten von Unfreiheiten und deren Folgen, ca. 220 Bilder, Öl auf Papier und Karton in unterschiedlichsten Formaten (von 5 x 15 cm bis 120 x 100 cm)

 

 

Die farbige Gesamt-Dokumentation (24,5cm x 34 cm, 80 S.) mit Texten von Isolde Schaad und einem 'Multiple-Choice-von A-Z-Fragebogen' ist für Fr. 35.- inkl. CH-Porto bei mir direkt zu beziehen (nur noch wenige Exemplare).

Zur Gesamt-Thematik s. dazu auch meine Erfahrungs-Berichte unter 'Yoga im Gefängnis'

 
 

 

Wie viel Wahl haben wir?

Begleittext Teil 1 (Vorwort zur Gesamt-Dokumentation von Martin Flüeler)

Zwei Männerkindheiten münden in je drei Lebenswege. Johannes und Peter stammen aus verschiedenen Milieus: prekär und mittelständisch. Je einmal geraten sie in die Mühlen der Justiz: als Pädophiler und als Drogenbeschaffungskrimineller. In zweiter Lesung betreiben sie diese Mühlen: als Gefängnis-Aufseher und als Richter. In der dritten Version führen sie ein Leben, das mit der Justiz nicht in Berührung kommt: als (schwuler) Buchhändler und als (schreibender) Mönch. Die Männer begegnen sich unterwegs, rollenbedingt und doch eher beiläufig. Lautlos und privat endet das Beobachtungsfenster synchron am 21.11.2001.
Wir erfahren diese - fiktiven - Geschichten als lückenhafte Bilderfolge, quasi Erinnerungsfotos aus einem gefundenen Schuhkarton, in der Machart irgendwo zwischen Gerichtssaal-Skizzen und Ölgemälde-Comics anzusiedeln. Steckbriefe mit Eckdaten (grün: Peter, blau: Johannes) helfen, sich besser zurechtzufinden.
In banaler Konkretheit gewollt klischiert, mutiert das ins Prototypige. Es lädt Sie ein, die Rollen und Ereignisse, vor allem auch die Zwischenräume und Andeutungen mit Assoziationen aus Ihrem eigenen Fundus zu besetzen. Damit werden aus diesen sechs Lebensläufen Tausende.

Gelb unterlegt finden Sie zwischen den Sittengemälden Texte von Isolde Schaad. Sie extrahiert in persönlich kolorierten Essays Sys-Themisches, gegliedert nach Herkunft, Körper, Sucht, Alter, Norm. Rabenschwarz erhellt sie, wie es war und ist: Die Welt als Zucht- und Strafanstalt.

So viel als Orientierungshilfe. Gefragt, worauf dieses Werk denn hinauslaufen soll, meinte Gerda Tobler: „Eigentlich sind wir alle in einem Gefängnis“. Eine pessimistische Sicht - nur, Gerda Tobler ist keine Pessimistin. Sie muss es anders gemeint haben: Wir hätten die Wahl. Die Wahl zu allem. Zu Rauchen und nicht zu Rauchen. Wer rauchen muss, befindet sich noch in einer Art Gefängnis. Wer nicht rauchen kann, aber Kreuzzüge dagegen führen muss, auch. Hass ist ein Gefängnis. Angst ist ein Gefängnis. Die Angst vor Terroristen ebenso wie die Angst vor dem Fehlermachen beim Klavierspielen.
Seit mehreren Jahren erteilt Gerda Tobler Yoga-Unterricht in der Strafanstalt Pöschwies, Regensdorf. Sie hat sich das gesucht, ja geschaffen, sie wurde nicht gerufen - aber sie ist auf offene Ohren gestossen. Zuerst war da also ihre Tat - aus welchem Impuls auch immer - nun kommt das Malen dazu – Gerda Toblers Hauptsprache. Ausgelöst durch die Chance, ausgerechnet in einem ehemaligen Gerichts- und Gefängnisgebäude ausstellen zu dürfen.





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Abbildungen (Scans aus der Gesamt-Dokumentation (jeweils 1 Seite) sowie Einzelbilder aus der Kindheit von Johannes und Peter)

 

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Wieviel Wahl haben wir?

Begleittext Teil 2 (Vorwort zur Gesamt-Dokumentation von Martin Flüeler)

Gerdas Yoga-Unterricht zielt darauf ab, den Menschen (hier den Männern) einen möglichen - sogar zellengängigen - Weg zu zeigen, wie sie „sich selbst“ erkennen und zurückgewinnen können. Wie sie mittels Bewusstheit und Achtsamkeit die Führung über Triebe, Zwangsgedanken, Wut und Angst erlangen können. Wie sie sich am Leben im Jetzt erfreuen können – in Abstand zu ihrer fatalen Vergangenheit und massiv vorbelasteten Zukunft. Die Freiheit gewinnen, hiesse: Angst und Hass ablegen. Das ist Gerdas Toblers Hoffnungs-Kredo: „Freiheit beginnt innen. Immer.“ Dort schlummert die Kraft, die Wahl nicht zu „hätten“, sondern zu haben und zu nutzen.

Gefängnisinsassen sind – so ihre Erfahrung - Menschen wie Sie und ich. Oder eben wie Peter und Johannes. Vielleicht haben sie sich mehr oder anders verirrt im Labyrinth von Wünschen, seelischen Nöten, Schmerz und Gewalt. Rebellischer reagiert auf Normierungszwänge und Gesetz, sich mehr verfangen im Netz von schlechten Gewohnheiten und Gedankenmustern. Oder sie hatten einfach mehr Pech bzw. weniger Glück als vielleicht Sie und ich. Sie wurden jedenfalls erwischt...
Viel häufiger werden Männer straffällig, warum bleibe hier dahingestellt. Gerda Toblers Plot spielt daher in einer fast reinen Männerwelt. Aus einigen Bildern blinzelt für mich ethnologische Verwunderung aus diesem Frauenblick auf Männerriten. Die Grundfragen aber sind geschlechtsunabhängig, das möchte sie hier festgehalten haben.

Für ihre Intentionen eignen sich die Begleit-Umstände im heutigen Strafvollzug nur sehr bedingt. Echte Freiheit können jedoch selbst dickste Mauern nicht verhindern, so brutal und

begrenzend sie für die Betroffenen auch sein mögen. Manchmal realisiert sie sich sogar erst unter diesem enormen Leidensdruck - oder auch der dadurch gegebenen radikalen Komplexitätsreduktion. Reale Mauern können gelegentlich Katalysator sein, nicht etwa für Verhärtung oder zusätzliche Kriminalisierung (leider die Regel), sondern für innere Befreiung. Die Geschichte liefert eindrückliche Bespiele dafür, vom mittelalterlichen Philosophen Boethius (5. Jh.n.Chr.) bis zu Nelson Mandela. Den inhaftierten Peter lässt Gerda Tobler diese Erfahrung machen sowie den schreibenden Mönch Johannes, der selbstbestimmt, einer inneren Notwendigkeit gehorchend, hinter (Kloster-) Mauern geht. Was sie aber nicht als Legitimation sämtlicher Anstalts- und Kerkerkalamitäten verstanden haben will. Diesem - seltenen - Glück könnte mehr und niederschwelliger nachgeholfen werden. Nicht nur innerhalb, sondern auch ausserhalb von Mauern.
Zurück zu den Bildergeschichten und ihren verschiedenen Verläufen. Jedem Leben stehen anscheinend viele Wege offen, auch meines oder Ihres hätte vielleicht einen ganz anderen Verlauf genommen, wenn ...? Sie werden in Gerda Toblers Fiktion vergebens nach dem Schlüsselmoment, der grossen Weichenstellung suchen. Sie können sich eine konstruieren. Oder viele. Sie können es dem Zufall in die Schuhe schieben, der Vorgeschichte, der Summe aller Umstände. Oder dem andern „Zufall“, höheren Mächten, der Vorsehung.
Aber ziehen Sie auch in Betracht: Es könnte eine Wahl sein. Eine persönliche Wahl, deren zugrunde liegender Absicht Sie sich erst in der Rückschau erinnern, was die Schlusswertung manchmal radikal verschieben mag.

Martin Flüeler, 17. Oktober 2004

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